Dissertation Dr. Noemi Adam-Graf

Wie erleben Bündnerinnen und Bündner den Sprachraum ‘Graubünden’? Was wissen sie über die vielfältige Sprach- und Dialektlandschaft und welche Vorstellungen und Ideen sind damit verknüpft? Diesen Fragen ging Noemi Adam-Graf im Rahmen ihrer Forschungsarbeit nach. Entstanden ist eine umfangreiche Dissertationsschrift, die mit sogenannten ‘mentalen Karten’ eine neue, wahrnehmungsbasierte Perspektive auf den Kanton liefert. Auf geografischen Karten sollten die individuellen Vorstellungen über die sprachlichen Verhältnisse eingezeichnet und kommentiert werden.

Anhand der Daten kann unter anderem gezeigt werden, dass die Topografie des Kantons einen bedeutenden Einfluss auf die Proband:innen hat und sich diese bei der sprachräumlichen Einteilung vor allem an den Tälern und Regionen orientieren. Auch Sprachgrenzen werden wahrgenommen: Beim Italienischen stimmen diese mit den naturräumlichen Grenzen überein; beim Romanischen sind die traditionellen Sprachgrenzen mental repräsentiert. Die wahrgenommenen Räume werden sprachlich umschrieben – etwa, wenn der Puschlaverdialekt mit dem Merkmal ü charakterisiert wird. Gewisse sprachliche Beschreibungsebenen sind ausserdem auch dann zugänglich, wenn die Varietät nicht gesprochen wird. Auch nicht-sprachliche Themen werden angesprochen, beispielsweise wenn Mentalitätsunterschiede innerhalb der Bewohner:innen des Kantons erwähnt werden.

Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass sich interindividuelle Befunde ableiten lassen, die Vorstellungen von Sprache aber auch vielfältig und subjektiv sind. Mehrsprachigkeit wird von den befragten Bündner:innen tendenziell als etwas Positives beschrieben und es besteht ein Bewusstsein für das Vorhandensein der unterschiedlichen Varietäten.

Das der Dissertation zugrunde liegende Forschungsprojekt wurde vom Institut für Kulturforschung Graubünden betreut und finanziert. Die Dissertation wurde von Prof. em. Dr. Elvira Glaser und Prof. Dr. Stephan Schmid der Universität Zürich betreut und begutachtet. 

Die Dissertation «Komplexe Sprachräume erleben. Zur Wahrnehmung der sprachlichen Vielfalt im Kanton Graubünden» ist als Open-Access-Publikation online verfügbar: https://doi.org/10.5167/uzh-223815. Eine verkürzte Darstellung der Forschungsergebnisse wird im Frühjahr 2023 als gedruckte Version erscheinen.

 

88 Proband:innen, die in elf Orten im Kanton wohnhaft sind, wurden während eines teilstrukturierten Interviews gebeten, auf geografischen Karten ihre Vorstellungen über die sprachlichen Verhältnisse einzuzeichnen und zu kommentieren. Entstanden sind sogenannte ‘mentale Karten’.

Die ‘mentalen Karten’ sind zuweilen ähnlich, mitunter unterschiedlich. Die italienischsprachigen Proband:innen heben in ihren ‘mentalen Karten’ etwa die italienischsprachigen Regionen hervor, während die deutsch- und romanischsprachigen Gebiete grob eingeteilt werden. Das Beispiel zeigt die mentale Karte einer Probandin aus Roveredo.

Mit einer computerbasierten Auswertung wird es möglich, interindividuelle Befunde abzuleiten, indem die einzelnen mentalen Karten übereinandergelegt werden. Die Abbildung zeigt eine sogenannte heatmap, die aus allen ausgefüllten Karten entstanden ist. Die besonders prominent wahrgenommenen Sprachräume – unter anderem das Engadin, das Churer Rheintal und die Surselva – sind dunkelrot eingefärbt.

 

Das Forschungsprojekt in den Medien:

Interview im Rondo-Magazin vom 12. Dezember 2021

https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-magazin/rondo-magazin-15-12-21

 

Artitgel en la Quotidiana, 29 november 2021

https://kulturforschung.ch/storage/forschungsprojekte/adam-graf-perzeptionslinguistik/Adam-Graf-Quotidiana_29.11.21.pdf

Beitrag in der Bündner Woche, 26. Juni 2019

https://kulturforschung.ch/storage/forschungsprojekte/adam-graf-perzeptionslinguistik/Adam-Graf-Buewo_26.06.2019.pdf

 

Artitgel en la Quotidiana, 28 zercladur 2019

https://kulturforschung.ch/storage/forschungsprojekte/adam-graf-perzeptionslinguistik/Adam-Graf-La-Quotidiana_28.06.2019.pdf