Bündner Monatsblatt 1/2024
Die erste Ausgabe des Monatsblatts in diesem Jahr liegt vor. Rico F. Valär gibt darin «Einblicke in Leben und Werk einer Bündner Pionierin». Clementina Gilly, die Engadiner Dichterin, Übersetzerin und Publizistin, lebte von 1858 bis 1942. Sie war die erste vorwiegend auf Rätoromanisch schreibende Frau, die sich als Schriftstellerin etablieren konnte. Neben Märchen, Essays, Meditationen und Übersetzungen schrieb sie eigene Gedichte. Besonders Letzteres – ihre Betätigung nicht etwa nur in der Kinderliteratur, sondern in der ernsthaften Dichtung – trug ihr seinerzeit grosse Anerkennung ein. Sie war sozial engagiert, eine Aktivistin der rätoromanischen Sprachbewegung, eine Pazifistin und eine Kämpferin für die Gleichstellung der Frau. «Es ist höchste Zeit, diese eindrückliche Frauenbiografie aus Graubünden wieder ins öffentliche Gedächtnis zurückzubringen», hält Rico F. Valär fest. Der Rätoromanist hat 2022, zum 80. Todestag der profilierten Autorin, eine Werkedition mitherausgebracht.
«Helden im Pulverdampf», so betitelt Martin Heeb seinen Beitrag über den Gebrauch von Geschichtsmythen am Eidgenössischen Schützenfest 1842 in Chur. Die alle zwei Jahre an wechselnden Orten stattfindenden Eidgenössischen Schützenfeste sollten das schweizerische Nationalbewusstsein stärken. Das politische Ziel dieser Grossanlässe und des damaligen Schützenwesens überhaupt bestand in der Gründung des schweizerischen Bundesstaates, welche bekanntlich 1848 erfolgte. Nachdem die Bündner Schützenvereine die Austragung des «Eidgenössischen» für 1842 zugelost bekommen hatten, versammelten sich im Juli jenes Jahres Schützen aus der ganzen Schweiz auf der Churer Quaderwiese (noch nicht auf dem Rossboden wie später). Die begleitende Publizistik und Rhetorik beschwor im Sinne eines Identifikationsangebots das Beispiel alteidgenössischer Helden herauf. Nebst Wilhelm Tell und Winkelried war da natürlich auch Benedikt Fontana eine wichtige Gestalt.
Der dritte Artikel in diesem Monatsblatt führt uns in die Zeit der Bündner Wirren zurück. Parteienhader und konfessionelle Gegensätze spalteten und erschütterten die Drei Bünde zwischen 1618 und 1639. Eine wichtige Quelle für die damaligen Geschehnisse, vor allem aber für die Wahrnehmungen der Zeitgenossen, sind die auf Italienisch geschriebenen Memorie («Lebenserinnerungen») des Ulysses von Salis-Marschlins, eines Exponenten der französischen, vorwiegend reformierten Partei. Matthias Berthel hat darin besonders interessante Passagen entdeckt: Ulysses von Salis-Marschlins setzte sich beim Herzog von Rohan für die Rehabilitierung des Rudolf von Planta-Wildenberg ein, als dieser in einer prekären Lage war, und würdigte ihn überhaupt freundlicher, als man erwarten könnte. Immerhin handelte es sich bei Planta um das Haupt der spanischen, vorwiegend katholischen Partei. Offenbar konnte innerhalb der Bündner Führungsschicht über alle parteipolitischen und konfessionellen Gegensätze hinweg eine Loyalität unter adligen Standesgenossen (und Anverwandten) wirksam werden.