Im 16. Jahrhundert waren die Studenten sehr mobil. Kaum dem Kindesalter entwachsen, zogen sie als «fahrende Scholaren» durch die Lande. In Gruppen von Gleichaltrigen ging es auf Wanderschaft. In fremden Städten kam man als «Tischgänger» bei Gelehrten unter, die einem Unterricht erteilten. Dabei war man auf die Netzwerke der Väter angewiesen. Janett Michel stellt das Beispiel des Johann Heinrich Bullinger in den Fokus. Diesem Schüler gab sein einflussreicher Vater – der Nachfolger Zwinglis in Zürich – lateinisch geschriebene Instruktionen mit auf die Reise, von Benimm- und Hygieneregeln bis zu Lernmethoden. Der Reformator und Kirchenpolitiker Heinrich Bullinger unterhielt beste Beziehungen zu Friedrich von Salis-Samedan, dessen Sohn wiederum in Zürich studierte. Michel, der auch die Korrespondenz der Väter ausgewertet hat, kommt zum Fazit: Die wandernden Scholaren waren «ausgesetzt, aber nicht wehrlos».
In der Stadt Chur spielte sich die Lebensgeschichte des Bernhard Köhl (1624–1700) ab. Dieser aus einer mittelständischen Familie stammende Tuchhändler war ein überaus geschickter Geschäftsmann, der in den Zünften – die in Chur alles dominierten – Karriere machte. Schliesslich wurde er zum Bürgermeister der Stadt und zum Bundespräsidenten des Gotteshausbundes gewählt. Obendrein erhielt er vom Fürstbischof einen Wappenbrief, der auch seine ganze Nachkommenschaft adelte. In der neuen Monatsblatt-Ausgabe erzählt Markus Köhl die Geschichte des illustren Vorfahren. Dabei lernen wir Bernhard von Köhls Frau und Töchter (und eher fragwürdige Schwiegersöhne) kennen, überblicken das in etlichen Liegenschaften angelegte Vermögen und die Schulstiftung und betrachten die wappengeschmückten Grabplatten der Köhlschen Familiengräber auf dem Scaletta-Friedhof (Stadtgarten).
Auf die beiden historischen Artikel folgen im aktuellen Monatsblatt drei sprach- und literaturwissenschaftliche Beiträge. Peter Masüger zeigt auf, wie viel romanisches Sprachgut in Orts- und Flurnamen «konserviert» ist, wie die Dörfer und Bergspitzen in Graubünden zu ihren (alt-)rätoromanischen, deutschen und italienischen Namen kamen. Der Philologe Jens Loescher erörtert die territoriale und die «versteckte» Vielsprachigkeit in den Schulzimmern Graubündens – sowie im Vergleich: Freiburgs – und plädiert dafür, diese zugunsten aller Schülerinnen und Schüler einzusetzen. Abschliessend nimmt Cordula Seger die Leserinnen und Leser mit auf einen literarischen Bummel durch das Oberengadin, der deutlich macht, wie stark die Engadiner Literatur die touristische Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert spiegelt und diese zugleich gefördert hat.
Im Rezensionenteil dieses Heftes werden besprochen: die Monographie von Laura Decurtins über den bedeutenden Bündner Komponisten Gion Antoni Derungs (rezensiert von Manuela Jetter) und der zweite Band von Urs Altermatts grossangelegter Geschichte der schweizerischen Bundesratswahlen (rezensiert von Adolf Collenberg).