Bündner Monatsblatt 2/2024
Englische Eisenkirche in Roveredo – Bündner Zuckerbäcker am Atlantik – ein Zuozer in Zürich
Die «Eisenkirche in Roveredo» wird im Beitrag von Diane Conrad porträtiert, und zwar als ein Beispiel für «englisches Baukulturerbe in der Schweiz». Eine Eisenkirche ist ein aus verzinkten Wellblechplatten vorfabriziertes Gotteshaus, ein typisch englisches Erzeugnis aus der Zeit zwischen 1855 und 1930, meist in neugotischem Stil gehalten, meist der anglikanischen Konfession dienend, in allen britischen Kolonien und angelsächsisch beeinflussten Weltgegenden vorkommend, von britischer Pionierhaftigkeit in der Industrialisierung kündend. Die hier vorgestellte Eisenkirche kündet überdies von britischer Pionierhaftigkeit im Tourismus; denn unter dem Weihetitel St. Mary Magdalene stand sie seit 1913 im Park eines Grandhotels am Vierwaldstättersee. Sie stellt eine Besonderheit dar: Von den 70 englischen Kirchen in der Schweiz ist sie die einzige Eisenkirche.
Eine derartige Blech-und-Holz-Konstruktion ist im Unterschied zu einem Steinbau grundsätzlich mobil. Und so wurde St. Mary Magdalene 1949 – nach dem Abriss jenes Grandhotels – nach Roveredo verfrachtet: Die dortige katholische Pfarrei hatte sie erworben. In Roveredo diente die Eisenkirche zunächst als katholisches Jugend- und Pfadfinderzentrum, dann als Versammlungs- oder Probelokal verschiedener (Musik-)Vereine, schliesslich als Lagerraum. Längst privatisiert, ist sie im vorigen Jahr von einem Künstlerehepaar gepachtet worden, das sie renoviert und im Rahmen seiner Projekte nutzen will.
«Seit zwei Jahren habe ich nie einen Berg oder Wald gesehen»: Der Obertitel des Artikels von Peter Michael ist ein heimwehvolles Zitat aus einem Brief, den der erfolgreiche Cafetier, Kinobetreiber und Varieté-Impresario Peder Caspescha (1884–1959) aus La Rochelle an seine Verwandten in Schnaus schrieb. Mit Caspeschas Tod endete nach über zweihundert Jahren die Wirkungsperiode der «Bündner Zuckerbäcker in La Rochelle», so der Untertitel von Michaels Beitrag. In dieser Zeitspanne betätigten sich mehr als zweihundert bündnerische Branchenvertreter in der Hafenstadt am Atlantik. Diese verdankt ihren Wohlstand dem Überseehandel – und ihre Attraktivität für Bündner Gewerbler dem reformierten Bevölkerungsanteil.
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts waren es nämlich Patissiers aus dem Oberengadin und dem Bergell, die sich in La Rochelle etablierten. Dabei taten sich oft ihrer zwei, drei oder mehr zu einer Gesellschaft zusammen. Ab den 1820er Jahren sind auch Nordbündner, nicht zuletzt Davoser, als Konditoren, Kaffeesieder und Bierbrauer in La Rochelle nachzuweisen. Ab 1870 ging zwar die Zahl der Bündner Confiseure daselbst zurück; doch die bekanntesten Kaffeehäuser in der Hafenstadt waren immer noch in Bündner Hand. Sie wurden nun fast ausschliesslich von gebürtigen Sursilvans geführt.
«Arnold Hänz (1900–1976). Ein strampelnder sozialer Absteiger aus dem Engadin», so betitelt sich der dritte Beitrag in dieser Monatsblatt-Ausgabe, verfasst von Fabian Brändle. Der in Zuoz geborene Arnold Hänz betätigte sich im Oberengadin als Kleinunternehmer, phasenweise nicht erfolglos, bevor er nach Zürich abwanderte. Dort gehörte er allerdings in der Weltwirtschaftskrise und während des Zweiten Weltkriegs zum grossen Heer der Arbeitslosen, war auch obdachlos. Später wurde er nach Zuoz ins Armenhaus abgeschoben. Von Hänz’ «Kampf um die Existenz» wissen wir aufgrund einer Broschüre, die er selbst unter diesem Titel in den späten 1940er Jahren in Zürich veröffentlichen konnte. Ein Beispiel für populare Autobiografik, also für selbsterzählte Lebensgeschichten einfacher Leute.